© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/97  02. Mai 1997

 
 
Internationales Symposion: Moslems in Europa auf dem Vormarsch
Ein aufgeklärter Islam hat es schwer
von Gerhard Sailer

In ganz Europa wachsen die islamischen Minderheiten rasch an und stellten die Gastländer vor immer größere Probleme. "Der Islam in Europa" war als Thema einer Tagung des Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Institutes am 17. April somit eine brandaktuelle Wahl, und die Veranstaltung durch die Anwesenheit des 3. Nationalratspräsidenten, Wilhelm Brauneder, besonders ausgezeichnet. Schon in den Einleitungsworten charakterisierte Institutsvorsitzender Arnold Suppan die Art des vielschichtigen Konfliktes zwischen Abend- und Morgenland im wesentlichen als einen "Bruchlinienkonflikt" zwischen unterschiedlichen Religionen und Zivilisationen im Sinne Samuel Huntingtons ("Kampf der Kulturen").

Derartige Konflikte finden aber auch innerhalb mehrheitlich islamischen Vielvölkerstaaten statt, wenn entlang religiöser auch soziale Bruchlinien verlaufen, wie z. B. in Ägypten zwischen muslimischen Fellachen und den häufig bessergestellten christlichen Kopten oder in Indonesien zwischen der malaiisch-stämmigen muslimischen Mehrheit und den wohlhabenden christlich-chinesischen Minderheit. Zumeist sind die Muslime die "strengeren Gläubigen", umso mehr, wenn sie den Andersgläubigen zivilisatorisch und wirtschaftlich unterlegen sind, und daher die Überbetonung der Religion auch der Kompensation von Minderwertigkeitsgefühlen dient. Die Türkei ist ein Beispiel dafür, wie derartige Bruchlinien selbst innerhalb einer rein islamischen Gesellschaft entstehen können, wo einer kleinen, städtischen laizistisch-kemalistischen Minderheit die breite Masse islamistisch orientierter Slumbewohner gegenübersteht, die den fundamentalistischen Lockrufen von Erbakans "Wohlfahrtspartei" Gehör schenken. In Instanbul stehen sich Orient und Okzident somit in einer einzigen Stadt unmittelbar gegenüber, womit auch der Beweis erbracht ist, daß nicht der Islam an sich, sondern dessen fundamentalistische Ausprägung das Problem darstellt.

"Wir sind aufgeklärte Muslime" war denn auch die Botschaft der am Podium und im Publikum vertretenen Islamwissenschaftler, mit Prof Smail Balio an der Spitze, der gleichzeitig eingestand, innerhalb des Islam die zumeist in die Emigration getriebene Minderheitenposition zu vertreten. Das vorherrschende islamische Selbstverständnis ist nämlich ein zutiefst antidemokratisches und autoritäres: Nicht der einzelne Mensch und dessen Selbstverwirklichung in Freiheit ist das Maß aller Dinge, sondern der unbedingte Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes und damit dessen – vielfach angemaßten! – Interpreten. Diese Interpreten unterliegen nie einer demokratischen Kontrolle (z. B. der iranische "Wächterrat") bzw. sind den demokratisch gewählten Institutionen übergeordnet. Da die moralische und vielfach auch rechtliche Autorität der religiösen Führer für viele Muslime in der Diaspora über den jeweiligen westlichen Instanzen steht, ergeben sich daraus Probleme mit der Anerkennung nicht religiös legitimierter Wertordnungen wie jener des Westens.

Daß der "religiös neutrale Staat" für religiöse Minderheiten erst die Voraussetzungen für deren religiöse Selbstverwirklichung eröffnet, werde von vielen Muslimen im Westen geflissentlich übersehen, beklagte Professor Martin Forstner vom Institut für arabische Sprachen und Kultur der Universität Mainz. In dieser Hinsicht müssen die Chancen für eine erfolgreiche Integration muslimischer Bevölkerungsteile in laizistischen, demokratischen Gesellschaften – nicht nur im "Westen", sondern auch z. B. in Indien – pessimistisch beurteilt werden. Auch Österreich sollte daraus für seine Zuwanderungs- und Familiennachzugspolitik die richtigen Konsequenzen ziehen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen