© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/97  25. April 1997

 
 
Walther Rathenau: Vertreter deutscher Machtpolitik in Zeiten politischer Ohnmacht
Er machte Rapallo zum Symbol
von Martin Otto

Anläßlich seines Besuches in Deutschland suchte ein durch Beutekunstgesetze lädierter Boris Jelzin die Rückgabefreudigkeit seiner Politik durch die Übergabe von elf Akten zu verdeutlichen. Die Mappen, am 17. April in Baden-Baden überreicht, kündigen die Rückgabe des Nachlasses von Walther Rathenau an, dessen Teil sie sind. Der Nachlaß wurde nicht ohne Hintergedanken gewählt, gilt doch Rathenau als Unterzeichner des Vertrages von Rapallo und dient als Verkörperung guter deutsch-russischer Beziehungen. Auch in der Sowjetunion war Rathenau ein durchaus akzeptierter Politiker; mit seiner Politik trug er ja zur Durchbrechung der außenpolitischen Isolation der 1922 noch jungen Sowjetunion bei. Sowohl die Bundesrepublik wie auch die DDR beriefen sich historisch auf ihn; für die DDR-Geschichtsschreibung war er Vorkämpfer der sogenannten "deutsch-sowjetischen Freundschaft", sozial-liberale Bundesregierungen bemühten ihn für eine Entspannungspolitik gegenüber dem Ostblock. Die tatsächliche Bedeutung Rathenaus ist am Ende des 20. Jahrhunderts schwer abzumessen.

Walther Rathenau wurde am 29. September 1867 in Berlin geboren. Sein Vater Emil Rathenau, einer der Gründer der jüngst liquidierten AEG, war einer der führenden deutschen Industriellen jüdischen Glaubens. Sohn Walther wurde 1915 Präsident der AEG. Zu diesem Zeitpunkt reichte seine Bedeutung freilich weit über das väterliche Großunternehmen hinaus.

Für die Oberste Heeresleitung organisierte er die gesamte Kriegswirtschaft des Deutschen Reiches; in einer großangelegten Planwirtschaft wurde die Versorgung mit Rohstoffen und der Nachschub ermöglicht. Einen direkten Nachahmer fand Rathenaus Kriegswirtschaft während des Zweiten Weltkrieges in Albert Speer, der Rathenaus Wirtschaftslenkung teilweise analog anwandte. Lenin diente sie als Vorbild für seine Art der Planwirtschaft.

1918 forderte Ludendorff als Chef der Obersten Heeresleitung einen Friedensschluß; Rathenau wies dieses Ansinnen scharf zurück. Um so härter müssen ihn nach Kriegsende aufgekommene Vorwürfe, einen Sieg des Deutschen Reiches verhindert zu haben, getroffen haben; noch zu Friedenszeiten wollte Rathenau als Einjährig-Freiwilliger in einem Berliner Garde-Regiment dienen. Der Pazifist Rathenau existierte wohl nur in der antisemitisch motivierten Propaganda seiner Gegner. 1918 wurde Rathenau, Parteigänger der in diesem Jahr gegründeten Deutschen Demokratischen Partei, Reichsminister für Wiederaufbau; die Umstellung von der Kriegs- zu einer Friedenswirtschaft fällt in seine Amtszeit. 1921 erfolgt die Berufung zum Reichsminister des Auswärtigen. Hier bemühte sich Rathenau, die Reparationsleistungen durch eine Verständigung mit Frankreich zu mildern. Als Trumpf in den Verhandlungen mit dem Westen wollte er die mit Rapallo begründeten guten Beziehungen des Reichs zur Sowjetunion ausspielen. Die Rechnung ging nur bedingt auf. Im Reichstag wurde Rathenau von rechts dennoch als "Erfüllungspolitiker" verleumdet, wegen Rapallo wurden ihm vereinzelt pro-sowjetische Neigungen nachgesagt; ein Großteil der deutschen Rechten begrüßte freilich die Annäherung an die Sowjetunion. 1922 wurde Rathenau am 24. Juni auf der Fahrt von seinem Haus in Berlin-Grunewald zum Auswärtigen Amt von der Organisation Consul erschossen; Fast eine Million Menschen wohnten dem Staatsbegräbnis bei.

Einer Vereinnahmung Rathenaus durch den Staat machte die Machtergreifung der Nationalsozialisten ein jähes Ende. Der Nachlaß aber wurde erst im Jahre 1939 beschlagnahmt durch die Gestapo, die ihn wiederum an das SS-Hauptamt weiterleitete; bei Kriegsende galt er als verschollen. Als 1993 bekannt wurde, daß sich ein großer Teil des Nachlasses im Zentralen Staatlichen Sonderarchiv Moskau befindet, war dies eine kleine Sensation. Sollte Moskau tatsächlich die Rückgabe vollständig durchführen, kehrt zumindest in einem Fall deutsches Kulturgut wieder an seinen historischen Ort zurück. Rathenau verschließt sich politisch jeder Schematisierung. Mit Sicherheit war er ein vom Geiste des deutschen Idealismus und des Humanismus geprägter Schöngeist. Seine jüdische Abstammung scheint für ihn ohne Belang gewesen zu sein; sein vielzitierter Aufsatz "Höre, Israel!", der eine vollständige Anpassung der Juden an die deutsche Gesellschaft fordert, ist nicht frei von antisemitischen Tönen. Politisch war er im Grunde gänzlich nach Westen orientiert. Die Politik des Vertrages von Rapallo wurde von ihm zwar mitgetragen; politische Meriten brachte sie ihm zu Lebzeiten wohl kaum ein. Die kommunistische Parteizeitung verlautbarte 1922, daß sie Rathenau "die konsequente Fortsetzung" der Politik von Rapallo nicht zutraue; rechte Hetzschriften bezeichneten ihn unmittelbar nach Rapallo als die Personalunion zwischen der internationalen jüdischen Hochfinanz und dem internationalen jüdischen Bolschewismus". In beiden Fällen wurde Rathenau gänzlich instrumentalisiert zu einem politischen Kampfmittel; der Name steht als Symbol für eine Politik, die es zu bekämpfen gilt.

Wenn Rußland nun mit einiger Resonanz in den Medien den Rathenau-Nachlaß zurückgibt, so dient Rathenau diesmal als Symbolfigur deutsch-russischer Freundschaft. Von dem tatsächlichen Werk bleibt wenig übrig. Seine Verständigungspolitik mit dem Westen ist im Rahmen der Westbindung durchgeführt und perfektioniert; seine Politik mit dem Osten ist dabei, wieder aktuell zu werden. Als politisches Symbol taugt Rathenau wohl immer noch. Zum bloßen Zitat herabgewürdigt zu werden, mithin zum Statisten einer Bonner, Berliner oder Moskauer Politik ohne Eigenschaften zu werden, das hat Rathenau nicht verdient.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen