© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/97  25. April 1997

 
 
Jasper-Johns-Retrospektive: Aussageverweigerung in Köln
Aus Kaugummi wird Leim
von Peter Boßdorf

Im Januar 1958 katapultierte sich Jasper Johns mit einer Ausstellung in der New Yorker Galerie von Leo Castelli in die Öffentlichkeit. Das Unternehmen brachte ihm nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch den ersten kommerziellen Erfolg: Bis auf zwei Exponate wurden alle verkauft, vier davon wanderten sogar ins Museum of Modern Art. Zu denjenigen, die dieses Ereignis neugierig verfolgten, zählte auch Andy Warhol: War nicht Jasper Johns gleich ihm homosexuell, ohne daß der Kunstmarkt ihm dies ankreiden würde? War nicht auch Johns Gebrauchsgraphiker – er gestaltete unter anderem gemeinsam mit Robert Rauschenberg Schaufenster –, ohne daß er darum minder ernst genommen wurde? Und war nicht das, was Johns zur Schau stellte, ein Affront gegen den Abstrakten Expressionismus und damit genau in dem Fahrwasser, in dem sich Warhol bewegte?

Die Öffentlichkeit und der Markt schienen auf einen derartigen Affront geradezu gewartet zu haben. Nicht nur für Warhol wurde der Durchbruch von Jasper Johns, zu dem sich kurz darauf an gleicher Stätte der seines Lebensgefährten Rauschenberg gesellte, zum Motivationsschub: Eine ganze Generation junger Künstler lag in diesen Jahren in den Startlöchern, um die alten, alle Fäden des Kunstbetriebes in der Hand haltenden Männer des Abstrakten Expressionismus grausam zu entthronen. Was sie in den folgenden Jahren ins Werk setzten, war mehr als ein erfolgreich durchgefochtener Generationenkonflikt und mehr als ein bloßer ikonographischer, stilistischer oder philosophischer Paradigmenwechsel. Was sie auf die Beine brachten, war vor allem ein Kunstmarkt, der diesen Namen verdient. Unter dem Signet Pop Art versöhnten sie, zumindest in den USA, Kunst und Leben auf eine heitere, direkte und entzaubernde Weise, die die romantische Utopie vom Kopf auf die Füße stellte.

Zu diesem Projekt gab Johns die Initialzündung – mehr nicht. Zu einer Inspirationsquelle seiner Altersgenossen ist er nicht geworden, dazu waren ihre eigenen Konzepte bereits ausgefeilt genug. Gegen die Unterstellung, er stünde nicht nur quasi zufällig am Anfang der amerikanischen Variante der Pop Art, sondern sei selber ein "Pop-Künstler", hat er sich früh (und bis auf den heutigen Tag) zur Wehr gesetzt – mit einer Vehemenz, die im Gegensatz zu der Gelassenheit steht, mit der er ansonsten, in einer Übersetzung Wittgensteinscher Gedanken, konstatiert, worin die "Bedeutung" eines Werkes liegt: "Wenn einer Kaugummi herstellt, und jedermann verwendet ihn schließlich nur noch als Leim, so wird demjenigen, der ihn hergestellt hat, unterstellt, er habe Leim hergestellt, auch wenn es eigentlich seine Absicht war, Kaugummi herzustellen. Man kann diese Dinge nicht kontrollieren."

Was sich für Johns als ein "Mißverständnis" darstellt, ist zumindest ein naheliegendes. Was in seinem "Frühwerk" zu sehen war – die amerikanische Fahne mehr oder minder abstrahiert, Zielscheiben, Zahlen – schien aus jener Bildwelt zu schöpfen, die auch die unwidersprochenen Pop-Künstler bemühten, wenngleich diese ebenfalls das avantgardistische Ritual der Gruppenbildung und Manifest-Unterzeichnung mieden. Selbst der Humor kam in seinem ansonsten Ernsthaftigkeit gebietenden Werk nicht zu kurz, etwa wenn er auf Willem de Koonings abfällige Bemerkung über Castelli, er würde auch Bierdosen verkaufen, dergestalt reagierte, daß er eben jene Bierdosen fertigte.

Schon die Gegenüberstellung mit anderen Vertretern zeitgenössischer amerikanischer Kunst (etwa in der Dauerausstellung des Museums Ludwig) zeigt deutlich, wo die Diskrepanzen zu einem Warhol oder einem Lichtenstein liegen: Johns betreibt keine unbeschwerte Affirmation des Alltäglichen, scheint sich einem traditionellen Kunstbegriff verschrieben zu haben und griff Gegenstände des täglichen Gebrauchs wohl eher auf, um das durch das Wissen um sie geschwächte Sinneserleben durch Reflexion zu wecken. "Ich persönlich würde das Gemälde gerne in einem Zustand der ’Aussagevermeidung’ halten": Dies schließt die Verweigerung einer kritischen Funktion ein, wie sie in Europa stets mit bedacht wurde. Und doch sind es ausschließlich europäische Künstler, die sich Johns seit den 60er Jahren, seitdem die Parallelität zur Pop Art auch augenfällig aufgegeben wurde, aneignet, in dem er sie immer und immer wieder variierend zitiert – allen voran Duchamps (was ihm kurzzeitig das Etikett des Neo-Dadaismus bescherte), interessanterweise zugleich Picasso, aber eben auch Cézanne, Magritte und Munch bis hin zu Grünewald. Auch der abstrakte Expressionist Barnett Newman wird solcherart gewürdigt, was das Vertrauen auf klare Trennlinien nachträglich unterminiert.

Die Zitate, hinzu gesellen sich solche aus der Gebrauchskunst und aus dem Werk von Johns selbst, verlocken dazu, sich über sie die Bilder zu erschließen. Doch auch dieser Boden ist nicht tragfähig. Jasper Johns verharrt in Verschlossenheit, vielleicht frohlockend, jedenfalls aber konsequent. Die Retrospektive "Jasper Johns" ist im Museum Ludwig in Köln bis zum 1. Juni zu sehen. Der Katalog (Prestel Verlag) kostet in der Ausstellung 59,– Mark.


 
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