© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/97  18. April 1997

 
 
Paul Watson: Ein radikaler Tierschützer nimmt Walfänger und Robbenschlächter ins Visier
"Ich führe einen Kreuzzug"
von Gerhard Quast

Kommende Woche läuft ein Ultimatum ab, das die Staatsanwaltschaft im niederländischen Haarlem den Norwegern gestellt hat, um ein förmliches Auslieferungsersuchen für den in Haft genommenen Umweltschützer Paul Watson zu beantragen. Watson war am 2. April auf der Durchreise von Deutschland in die USA auf dem Amsterdamer Flughafen festgenommen worden. Bereits zwei Tage vorher erging es ihm in Deutschland nicht viel anders. Aufgrund eines Ersuchens der norwegischen Behörden wurde er in Bremerhaven festgenommen, allerdings am Tag darauf wieder freigelassen, weil die Bremer Generalstaatsanwaltschaft seine Auslieferung als rechtlich unzulässig einstufte.

Dem radikalen Umwelt- und Tierschützer wird vorgeworfen, 1992 ein norwegisches Walfangschiff durch Öffnen der Flutventile zu versenken versucht und dadurch schwer beschädigt zu haben. Dafür wurde er von einem norwegischen Gericht in Abwesenheit zu einer Haftstrafe von 120 Tagen verurteilt. Die Strafe hat er bis heute allerdings nicht angetreten.

Paul Watson ist kein Unbekannter und diese Sabotage kein Einzelfall. Der heute 46jährige Watson ist an der Ostküste Kanadas aufgewachsen und träumte davon, Seemann zu werden. An Bord skandinavischer Handelsschiffe lernt er sein Handwerk. Im Alter von 20 Jahren protestiert er mit einer kleinen Anti-Atomkraft-Gruppe gegen Nukleartests der US-Amerikaner. Daraus erwächst die Idee für eine Umweltschutzgruppe, die sich ganz bewußt der Medien bedient. Paul Watson wird Mitbegründer von Greenpeace und erhält die Mitgliedsnummer 007.

Eine "einschneidende Rolle" spielte für seine Entwicklung nach eigenem Bekunden die UN-Umweltschutzkonferenz in Stockholm im Jahre 1972. "Berühmte und bedeutende Persönlichkeiten aus der ganzen Welt hatten zur Aktion aufgerufen", schreibt Watson in seinem Buch "Ocean Warrior: Mein Kreuzzug gegen das sinnlose Schlachten der Wale" (Ehrenwirth, München 1995): "Sie sagten uns, wir könnten Entscheidendes bewirken, wenn wir uns dem Schutz der Umwelt verschrieben (…), aber keiner rechnete damit, daß wir tatsächlich die Ärmel aufkrempeln und den Problemen zu Leibe rücken würden". Der umtriebige Tierschützer gehört zu denen, die aus Greenpeace eine weltweit geachtete Umweltschutzbewegung machten, trotzdem fällt er schon sehr bald in Ungnade. Als er 1977 in seinem Heimatland Robbenschlächter nicht nur bei ihrem blutigen Gemetzel filmt und so ihr Treiben der allgemeinen Ächtung preisgibt, sondern dabei auch einen der Robbenschlächter tätlich angreift, verstößt er gegen den erklärten Pazifismus seiner Mitstreiter. Eine organisatorische Trennung wird unvermeidlich. Noch im gleichen Jahr verläßt er die "Regenbogenkrieger" und gründet die Seashepherd Conservation Society, die heute rund 30.000 Unterstützer zählt. Die Notwendigkeit einer radikalökologischen und militanten Neugründung begründet er damit, "daß eine aggressivere Naturschutzorganisation dringend gebraucht wird, eine Organisation, die es nicht bei Protesten bewenden läßt, sondern auch polizeiliche Aufgaben wahrnimmt." Denn, so seine Erläuterung, es gibt zwar zahlreiche internationale Schutzbestimmungen, Regeln und Vereinbarungen, "aber niemanden, der diese wirklich überwacht."

Dieser Überwachung der Einhaltung internationaler Verpflichtungen hat er sich seither verschrieben. Daß er dabei auch vor Gesetzesverstößen und Sachbeschädigungen nicht zurückschreckt, entspricht seinem Selbstverständnis, denn gegen Gesetzesbrecher werden Gesetzesverstöße von ihm als legitim angesehen. Im Juni 1979 fällt das erste Walfangschiff seinen Aktionen zum Opfer: Watson rammt mit der "Sea Shepherd" das portugiesische Walfängerschiff "Sierra". Sein eigenes Schiff wird daraufhin von der portugiesischen Marine beschlagnahmt und soll zu einem Waljägerschiff umgebaut werden. Um das zu verhindern versenkt Watson sein eigenes Schiff in einer Nacht-und-Nebel-Aktion durch Öffnen der Seeventile. Weitere Walfangschiffe folgen. Insgesamt wurden bisher knapp ein Dutzend portugiesischer, spanischer, taiwanesischer, isländischer und norwegischer Walfangschiffe auf Grund gesetzt. Der Schaden, der an den Schiffen verursacht wird, ist oft zwar nur gering, im Ergebnis allerdings existenzbedrohend, denn durch die angerichteten Schäden steigen die Versicherungssummen und folglich die damit verbundenen Kosten für alle Walfangschiffe, so daß der Walfang unwirtschaftlich wird. Eine 1992 geschaffene und flexibel einsetzbare Aktionstruppe "O.R.C.A. Force" hat die Aufgabe, unter Führung von Lisa Ann Distefano weltweit Sabotageakte durchzuführen. Mal wurden im Hafen von Kao-hsiung ein taiwanesischer Treibnetzfänger versenkt mal auf Island eine Walverarbeitungsfabrik zerstört. Daß Watson sich strafbaren Handlungen schuldig macht, ist ohne Zweifel richtig, gleichzeitig hindert es andere daran, gegen internationale Vereinbarungen zu verstoßen. Um dieses Dilemma vor der Weltöffentlichkeit deutlich zu machen, stellte Watson sich den isländischen Behörden. Diese lassen ihn kurzerhand abschieben, wohlwissend, daß sie gegen das internationale Walfangabkommen verstoßen haben. Anders Taiwans Treibnetzfischer. Diese haben bereits ein Kopfgeld auf Watson ausgesetzt und auch andere trachten dem unbeugsamen Streiter längst nach seinem Leben, dessen ist er sich bewußt: "Ich rechne durchaus damit, eines Tages von einem meiner Artgenossen umgebracht zu werden. Ein Walfänger, Robbenschlächter, Haiwilderer oder ein Mitglied der Besatzung eines Treibnetzfischers oder Schleppers wird mich töten. Vielleicht wird es auch ein Regierungsagent sein, der als Handlanger eines Konzerns auftritt."

Bis es aber dazu kommt, wird der radikale Tierschützer weiterhin wie der sagenumwobene "Fliegende Holländer" mit seinem Schiff überall dort auftauchen und Angst und Schrecken verbreiten, wo Kriminelle Walfische abzuschlachten versuchen oder aus Profitgier international geschützten Meeressäugetieren nachstellen. Denn "das einzige, was mir etwas bedeutet, ist, daß ich mein Leben dafür verwende, Leben zu retten, Arten zu schützen, Lebensräume zu erhalten. Solange ich das tue, weiß ich, daß ich etwas bewirke und vielleicht auch andere mitreißen kann, die ebenfalls etwas bewirken werden."


 
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