© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/97  18. April 1997

 
 
Deutsches Theater: "Ithaka" von Botho Strauß
Mord an einer Spaßgesellschaft
von Hans-Jörg von Jena

Ein bedeutender, oft amüsanter Theaterabend. Auch ein bedeutendes Stück? Botho Strauß ist bemüht, keine übertriebenen Erwartungen aufkommen zu lassen. Sein "Schauspiel nach den Heimkehr-Gesängen der Odyssee", so der Untertitel, hat, wie er in der Vorbemerkung zur Buchausgabe (Hanser Verlag) wissen läßt, nur den Ehrgeiz einer "Übersetzung von Lektüre in Schauspiel".

Das klingt nach Hebbel. Der wollte angeblich auch nur dem Nibelungenlied auf der Bühne Raum geben. Thomas Langhoff, dessen eindringliche Inszenierung von "Kriemhilds Rache" nach wie vor auf dem Spielplan des Deutschen Theaters steht, verhilft jetzt auch der Homer-Adaption zu szenischem Leben. Eigene Zutaten zum Homer spielt Strauß herunter. Der Dialog opfere, "um beweglich zu bleiben", den Vers und den rhapsodischen Ton. Das stimmt nicht ganz: Die Prosa ist vielfach rhythmisch gebunden. Seine "Abschweifungen, Nebengedanken, Assoziationen, die die Lektüre begleiten", setzt Strauß dramatisch mit Glück um. So hat Penelope bei ihm in den zwei Jahrzehnten vergeblichen Wartens enorm Kummerspeck angesetzt. Und antikem Chor sich nähernd, kommentieren drei "fragmentische Frauen" das Geschehen, die Damen Knie, Schlüsselbein und Handgelenk.

Nur: Soll das alles sein? Ein Bilder-Bogen, der sich von des Helden Heimkehr über den Freiermord bis zur Wiedervereinigung der Ehegatten spannt? Man muß es, vorerst jedenfalls, glauben. Des Autors verquastes Sinnieren über der Zeiten Verläufe und Wiederkehr (im Programmheft) taugt zu tieferer Deutung kaum. Und in "Ithaka" eine Parabel deutscher Dinge zu sehen – etwa so: Held Odysseus (West) reinigt das Haus (Ost), wo kommunistische Freier die deutsche Penelope gewaltsam und vergeblich umbuhlten –, scheint reichlich weit hergeholt.

Immerhin setzt Botho Strauß Akzente. Psychologisch: Er hebt die Kronprinzenproblematik und verdeckte Hamlet-Situation Telemachs hervor (den Guntram Brattia, ganz aus der Sicht der Freier, als braven Möchtegern spielt). Oder politisch: Das Volk will Ordnung, Penelope soll deshalb endlich wählen; Ithaka muß wieder regiert werden. All das steht gewiß auch schon bei Homer, aber Botho Strauß unterstreicht es im Text.

Am dicksten, mit dem Rotstift, tut er das bei der Darstellung der Freier. Böse sind sie allesamt nicht, nur genußsüchtig und bequem, eine konfliktscheue Spaßgesellschaft auf fideler Dauerparty. Lauter Softies und elegante Mitläufer – übrigens vom Ensemble individuell scharf profiliert –, die es im Ernstfall "nicht gewesen" sein wollen. Welcher Generation liest Strauß hier die Leviten, seiner eigenen oder der der Väter? Odysseus (faszinierend: Dieter Mann) vollzieht den Freiermord nicht aus Übermut oder Blutdurst. Er zeigt sich als erschöpfter Überlebender, in dem archaisches Herkommen lebendig blieb. Als Realist tut er das Unvermeidliche, aber danach fürchtet er mit Grund die Rache der großen Familien Ithakas. Anders als er ist Beschützerin Athene stets von Kopf bis Fuß auf Kampf eingestellt (köstlich, eine superblonde Walküre: Ulrike Krumbiegel), bis das Donnerwort des Zeus "Vergessen" gebietet und den Freiermord unter den Teppich kehrt. Dagmar Manzel, die Penelope: als Dickmadame von grotesker Komik, nach wundersamer Erschlankung hinreißend spitzbübisch. Gut drei Dutzend Schauspieler dokumentieren das hohe Niveau des Ensembles. Karl-Ernst Herrmanns karges, helles, artifizielles Bühnenbild nimmt Schaubühnen-Tradition in die Schuhmannstraße hinüber, aber knüpft auch an die Szenerie des "Gleichgewichts" an, des anderen Bogen-Stücks von Botho Strauß im Deutschen Theater. Fazit: Man rätselt über den Autor. Es bleibt aber Entertainment genug mit dem alten Homer.


 
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