© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/97  18. April 1997

 
 
Den Dialog pflegen
Kommentar
von Josef Schüsslburner

Da nach den Erkenntnissen des zuständigen deutschen Gerichts der Mykonos-Mordanschlag auf Anordnung der iranischen Führung erfolgt ist, sieht sich die Bundesregierung genötigt, den "kritischen Dialog" mit Teheran "auszusetzen". Sie steht zum einen unter dem Druck politischer Kreise, die sich einst nicht davon abhalten ließen, mit Staaten "Entspannung" zu pflegen, die nicht davor zurückgeschreckten, mit Terroristen zusammenzuarbeiten oder Mordaufträge zu erteilen. Zudem handelt es sich beim Iran um ein (nach-)revolutionäres Regime, dem man mehr multikulturelles Verständnis im wohlverstandenen Sinne entgegenbringen müßte; schließlich lassen sich problematische Züge dieses Regimes auf fehlgeschlagene Verwestlichung und damit auf monokulturelle Entwicklungen zurückführen. Zum anderen steht Bonn ob des "kritischen Dialogs" mit dem Iran schon seit längerem unter US-Beobachtung, was wohl dazu beigetragen hat, daß ein deutsches Gericht, anders als bei vergleichbaren Fällen, die schuldermittelnden Tatumstände voll aufklären konnte.

Für die USA ist das iranische Regime das Konkurrenzsystem zu dem von ihnen für islamische Staaten vorgesehenen Demokratisierungsmodell Türkei, und sie wissen um die Popularität dieses Modells bei den Bevölkerungsmassen der islamischen Welt. Dessen Übernahme in anderen Staaten dieser Weltgegend kann deshalb nur, wie in Algerien, durch eine prowestliche Diktatur, oder, wie in der Türkei, durch die Drohung mit der Verwestlichungsdiktatur verhindert werden.

Soll sich in der islamischen Welt so etwas wie Demokratie durchsetzen, kann dies langfristig wahrscheinlich nicht über den etatistischen Zwangslaizismus eines Kemal Atatürk geschehen, sondern über die theokratische Republik im Sinne des iranischen Projektes. Die Annahme liberaler Demokratiemissionare, Demokratisierung müsse Verwestlichung und Liberalismus herbeiführen, ist nämlich grundsätzlich falsch: Soll Demokratie ein genuines und kein im imperialen Herrschaftsinteresse einer liberalen Hegemonialmacht aufgezwungenes Regime darstellen, wird sie durch das Nadelöhr der jeweiligen politischen Traditionen gehen müssen und sich dann allerdings als etwas anderes denn als Form des westlichen Liberalismus darstellen. Vielmehr wird Demokratie, soll Freiheit und damit Differenz meinen, langfristig die multikulturellen Unterschiede hervorheben.

Die USA setzen jedoch auf einen extremen pantürkischen Nationalismus, den selbst Atatürk abgelehnt hatte. Um so bedeutsamer ist es, daß Deutschland den "kritischen Dialog" im Interesse des kulturellen Pluralismus gerade dort pflegt, wo er wirklich interessant ist.


 
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