© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/97  11. April 1997

 
 
Reizwort Einwanderung
Kommentar
von Dieter Stein

Wieder streiten Politiker aller Parteien um die Forderung nach einem Einwanderungsgesetz. Das ist gut so, denn eine Lösung in dieser Frage ist überfällig. Der aufgeklärte Brandanschlag von Krefeld bietet keinen Anlaß zur Entwarnung, nur weil der Täter nun kein Deutscher ist. Im Gegenteil. Die heißblütigen Reaktionen der türkischen Presse und die nervösen Urteile auch in der deutschen Presse zeigen, wie klärungsbedürftig das Verhältnis des deutschen Staates und seiner Gesellschaft zu seinen Ausländern ist.

Wenn Unionspolitiker sich mit Händen und Füßen dagegen wehren, daß sich Deutschland zum Einwanderungsland erklärt, so ist das rührend. Dies ist eine Frage, die man noch Anfang der siebziger Jahre hätte ernsthaft diskutieren können. Der Zug ist nun aber durch mehrfach vollendete Tatsachen abgefahren. Daß Deutschland faktisch Haupteinwanderungsland Europas ist und daß dies auf der Grundlage eines nahezu rechtsfreien Raumes geschah und geschieht, fällt in die Verantwortung dieser Politiker. Es ist also nur noch Etikettenschwindel und Wählerverdummung, wenn man nach wie vor so tut, als könne sich Deutschland die vermeintliche nationale Jungfräulichkeit eines Nicht-Einwanderungslandes bewahren. Die Wahrheit ist, daß selbst Politiker, die für eine windelweiche Asyl- und Einwanderungspolitik eintreten, sprachlos sind gegenüber den legitimen Forderungen hier lebender Ausländer nach Bewahrung ihrer nationalen Identität. Sprachlos sind diese Poltiker deshalb, weil sie gar nicht nachvollziehen können, daß es überhaupt etwas regional, national oder religiös Bewahrenswertes gibt. Für sie gibt es doch das "global village" mit einer "Angleichung der Lebensverhältnisse", bei der nationale Eigenheiten nur reaktionäre Hemmnisse sind.

Schülerklassen in Ballungszentren wie Frankfurt am Main oder Berlin, in denen mittlerweile manchmal 70 bis 80 Prozent der Schüler Ausländer sind, sind eben nicht nur ein Problem für die deutschen Kinder. Sie sind auch ein bislang kaum erkanntes Problem für die Ausländerkinder, die ebenfalls unterschiedlich aufgewachsen sind und sich nur schlecht verständigen können. Es ist deshalb Aufgabe verantwortlicher Politiker, die Bürger nicht mit nichtssagender Multikulti-Rhetorik einzuseifen, sondern die schwierigen Probleme des Zusammenlebens ernstzunehmen.

Um dies für alle Beteiligten noch einigermaßen zivil zu ermöglichen, muß der Nachzug rigoros begrenzt werden. Es dürfen jährlich nicht mehr 100.000, sondern nur noch ein Bruchteil in dieses Land. Ein entsprechendes Gesetz kann gerne "Einwanderungsgesetz" heißen – das Ergebnis zählt.


 
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