© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/97  11. April 1997

 
 
Parteien: Programme und Ideologien
Mittelmaß als Prinzip?
Meinungsbeitrag
von Christian Pinter

Zur Zeit gibt es in der österreichischen Parteienlandschaft einige interessante und beachtliche Bewegungen. Der Ausdruck Bewegung gilt dabei zumindest im doppelten Sinne. Einerseits gibt es mit den Freiheitlichen seit einiger Zeit eine Partei, die einmal mehr und einmal weniger Bewegung ist. Andererseits geraten die Parteien bezüglich ihrer Programme, Inhalte und Ideologien in Bewegung. Alles in allem scheint die Mittelmäßigkeit zum Prinzip geworden zu sein.

Die Freiheitlichen sind auf diesem Gebiet am fortschrittlichsten. Wie gesagt, sind sie schon längere Zeit eine Bewegung und die Mittelmäßigkeit bringt heute mehr Stimmen als je zuvor. Die FPÖ ist als bewegte Oppositionspartei so erfolgreich, daß sogar die SPÖ als Regierungspartei immer mehr zum FPÖ-Abklatsch wird. Bundeskanzler Viktor Klima gibt sich schon länger als Haider-Verschnitt. Doch dem ist nicht genug. Der neue sozialdemokratische Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas forderte zuletzt von seiner Partei, sie müsse zur Bewegung werden, gegen die Mißstände des bestehenden Systems ankämpfen und zuletzt sogar ein Bündnis mit Christen eingehen. Für eine Oppositionspartei wären das legitime Anliegen, doch gerade die seit beinahe 30 Jahren herrschende SPÖ kann doch nicht einfach im Fahrwasser der Freiheitlichen herumirren – oder vielleicht doch?

Das Ziel, aus seiner Partei eine Bewegung zu machen, ist vielleicht aus wahltaktischer Sicht noch in Ordnung. Immerhin sind die erfolgreichsten Wahlkämpfer der letzten Jahre eine Bewegung und vielleicht hilft es den erfolglosen Sozialdemokraten, wenn man in Bewegung gerät. Härter wird das Ganze dann, wenn der Bundesgeschäftsführer der herrschenden Partei fordert, seine Partei müsse gegen ihre selbst verursachten (!) Mißstände auftreten. Fordert er etwa den kollektiven Selbstmord seiner bewegten Genossen? Gibt es eine Verbindung zwischen Rudas und dem Kometen Hale-Bopp?

Letzteres ist eher nicht anzunehmen, daher kann man diese zweite Forderung als aufgelegten Blödsinn abtun. Oder vielleicht doch nicht? Ist es nicht wieder die Imitation der Freiheitlichen, werden auch die Sozialdemokraten zu Populisten gegen ihr eigenes System? Gut möglich, doch wo soll das hinführen? Aus ideologischer Sicht ist die letzte Forderung am interessantesten. Der rote Rudas fordert ein Bündnis mit Christen! Das ist doch so, als ob der Teufel Weihwasser trinkt. Doch man muß gar nicht so weit gehen, um zu erkennen, warum die Roten ein Bündnis mit den Christen suchen. Einerseits ist die Mehrheit aller Österreicher christlichen Glaubens und andererseits haben es die Blauen den Roten so vorgemacht. Nun fischen sie eben gemeinsam im schwarzen Fischwasser. Ob dabei für die ÖVP noch was übrig bleibt, ist eher zu bezweifeln. Doch im Grunde spielt das keine Rolle, da die Volkspartei schon seit einigen Jahren einen sozialistischen Kurs fährt.

Die drei Lager von einst treffen sich heute irgendwo in der Mitte und das Ergebnis ist Mittelmäßigkeit. Alle sind Sozialisten, alle sind Christen und alle sind Österreicher. Aus einst unterschiedlichen Parteien wurden mittlerweile Bewegungen, die sich im Grunde nicht mehr unterscheiden. Somit kann man ohne weiteres sagen, daß auch Parteiprogamme nicht einmal das Papier wert sind, auf dem sie stehen, da sie ohnedies nichts mehr aussagen und von niemandem mehr gelesen werden. Ideologien spielen keine Rolle mehr, da sich alle mit Mittelmäßigkeit zufrieden geben. Die Elite spielt keine Rolle, weil sie bestenfalls 5 Mandate bringt. Denken überläßt man den Pferden, die haben größere Köpfe. Programme und Ideologien werden durch eine Sammlung von populären Aussagen ersetzt, die an die aktuelle Wetterlage angepaßt werden. Es gilt das gesprochene Wort des jeweiligen Vorturners.

Wenn nun alle Parteien/Bewegungen gleich mäßig sind, dann könnte es aber passieren, daß sich die Bürger vielleicht nicht mehr dazu bewegen lassen, dieses politische System noch ernst zu nehmen und am Sonntag in die Wahlzelle zu gehen, um irgendjemandem seine Stimme zu geben. Vielleicht werden nur mehr die Politiker und ihre engsten Verwandten zur Wahl gehen, da es für alle anderen sowieso egal ist, wer die Wahl gewinnt, da sich sowieso nichts ändert. Aus demokratischer Sicht ist das nicht unbedingt ein erfreuliches Szenario.

Vielleicht macht es doch Sinn, unterschiedliche Positionen zu besetzen, damit sich die Bürger für einen bestimmten Weg entscheiden können. Es galt doch immer als Vorzug der Demokratie, daß man unfähige Herrscher abwählen kann. Wen soll man abwählen, wenn alle gleich sind? Wo bleiben die vielen Wirtshausdebatten, wo man über den jeweils anderen schimpfen kann? Wenn man nicht mehr über den anderen schimpfen kann, wo läßt man dann seinen Dampf ab?

Eben deshalb sei allen demokratischen und menschlichen Kräften in den Parteien/Bewegungen geraten, alles mögliche zu tun, um der Mittelmäßigkeit zu entsagen und sich von dort wegzubewegen. Reideologisierung wäre also für alle Parteien angesagt. Marxistisch "Rote, wirklich christlichsoziale "Schwarze" und nationalliberale "Blaue" – aber das ist wohl Wunschdenken.


 
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