© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/97  11. April 1997

 
 
Hinrichtung nach Schauprozeß: Der slowakische Priester-Präsident Jozef Tiso bereute nichts
Vom Staatsführer zur Unperson
von Alfred Schickel

Die jüngere Geschichte kennt offensichtlich Gestalten, über deren Grab das Gras besonders schnell wächst. Der katholische Priester und mehrjährige Staatspräsident der Slowakei, Monsignore Jozef Tiso, gehört zweifellos zu diesen allzu schnell Vergessenen. Sein gewaltsamer Tod am Galgen zu Preßburg erfolgte so rasch nach dem Richterspruch, daß man schon damals das Gefühl hatte, interessierte Kräfte hätten ihn nicht schnell genug unter die Erde bringen können.

Am 15. April 1947 erging das Todesurteil – und knapp zwei Tage später, am 17. April, wurde es vollzogen. Für Appellation oder Gnadengesuch blieb keine Zeit. Immerhin fanden sich in Rom und in den Vereinigten Staaten fürbittende Stimmen. Der Vatikan mochte seinen Prälaten nicht ehrlos am Henkersgerüst sterben lassen, und in den USA verwendeten sich Kongreßabgeordnete in für-sprechenden Schreiben für den 59jährigen Geistlichen. Das US-Außenministerium sah jedoch keine Gelegenheit mehr zu intervenieren. In einem Brief an die Petenten vom 7. Mai 1947 suchte das Washingtoner State Department die amerikanische "Zurückhaltung" zu erklären und sich an der Vorstellung, Tiso habe einen fairen Prozeß bekommen ("Dr. Tiso’s trial was conducted in a fair manner"), zu trösten. Und als gelte es doch noch, das nicht ganz reine Gewissen zu entlasten, wurde dem toten Tiso in dem ministeriellen Schreiben noch eigens als strafwürdiges Vergehen der Umstand angelastet, "daß er Präsident des unabhängigen slowakischen Staates war und sich am 24. November 1940 der Allianz Berlin-Rom-Tokio anschloß" Ein Vorwurf, der ebenso herbeigeholt anmutet wie widersprüchlich erscheint. Denn wenn Tiso Präsident eines unabhängigen slowakischen Staates war, gehörte er 1946 nicht vor ein tschechoslowakisches Gericht, sondern besaß die Immunität eines Staatsoberhauptes und hatte sich allenfalls seinen slowakischen Landsleuten zu stellen. Die Amerikaner hatten jedoch Tiso gefangen genommen und im Oktober 1945 der tschechoslowakischen Regierung ausgeliefert, mithin seine spätere Behandlung und Verurteilung ermöglicht. Dabei hätten sie spätestens seit April 1945 voraussehen können, daß Jozef Tiso bei den Tschechen kein faires Verfahren, sondern ein politischer Schauprozeß erwartete. Das deuteten nicht zuletzt die sogenannten Kaschauer Beschlüsse vom 5. April 1945 an, in denen Tisos Regierung als "Verräterregime" bezeichnet und die tisofreundlichen Milizen ("Hlinka-Garde") als "Schergen" tituliert wurden. Und dies in einem Kontext, der die vorherrschenden Rachegefühle geradezu expressis verbis spüren ließ.

Fern aller "Verräter"- und "Kollaborateur"-Theorien hatten an Tisos Verschwinden letztlich zwei Männer gesteigertes Interesse: Edvard Benesch und Josef Stalin. Ersterer, weil er sich durch Tisos Aufstieg und politische Existenz in seinem "Tschechoslowakismus" mit dem Anspruch auf einen einheitlichen "tschechoslowakischen" Staat gefährdet und die von ihm vertretene "Kontinuitätstheorie" vom ununterbrochenen Weiterbestand der "Tschecho-Slowakischen Republik" ernsthaft bedroht sah. Entsprechend soll er bei der Erörterung eines möglichen Gnadenerweises für den verurteilten Tiso gesagt haben: "Es gibt keinen Platz für zwei Präsidenten."

Für Stalin war Tiso dagegen in erster Linie ein ideologischer Todfeind und ein lästiger Zeitzeuge. In seinen Augen gehörte er zu den "papistischen Statthaltern" der römisch-katholischen Kirche, die seinen Expansionsplänen nach Mittel- und Westeuropa im Wege standen. Und als einstiges Staatsoberhaupt der Slowakei war Tiso Zeitzeuge für den Opportunismus sowjetischer Außenpolitik. Die Sowjetunion zählte nämlich zu jenen Staaten, welche die Slowakei völkerrechtlich anerkannt haben. Ihr Berliner Botschafter hatte am 16. September 1939 "im Auftrag des Rates der Volkskommissare" bekanntgegeben, "daß die Regierung der UdSSR die slowakische Regierung de facto und de jure" anerkenne. Drei Wochen zuvor war bekanntlich Stalin seine Allianz mit Hitler eingegangen und wenige Stunden danach, am 17. September 1939, mit seiner Roten Armee in Ostpolen eingerückt. Da paßte ihm die diplomatische Anerkennung Tisos offensichtlich gut ins Konzept. Die Teilnahme slowakischer Soldaten am deutschen Rußlandfeldzug und Beneschs Kooperationsbereitschaft mit Moskau machten dann aus dem bisherigen "Vorsitzenden" des "Slowakischen Staates" einen "klerikalfaschistischen Hitler-Quisling", den es zu vernichten galt.

Bei Kriegsende fiel ihm freilich der verhaßte Slowakenführer nicht in die Hände, sondern wurde von den Amerikanern inhaftiert. Diese fühlten sich gegenüber Benesch im Wort und lieferten Tiso zusammen mit seinem Nachfolger als slowakischen Ministerpräsidenten – Bela Tuka – als gesuchte "Kriegsverbrecher" an die tschechischen Behörden aus. Mit seiner Überstellung am 19. Oktober 1945 schien sein weiteres Schicksal besiegelt, auch wenn er erst über ein Jahr danach, im Dezember 1946, in Preßburg vor einen "Volksgerichtshof" gestellt wurde.

Wie schon in den Kaschauer Beschlüssen vom 5. April 1945 angedroht, wurde Tiso von den tschechoslowakischen Anklägern des "Hochverrats", der "Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten" und "einer Reihe von Kriegsverbrechen" beschuldigt. Sein Begehren, als einst völkerrechtlich anerkanntes Staatsoberhaupt zumindest vor ein internationales Tribunal gestellt zu werden, wurde aus durchsichtigen Gründen abgelehnt, wie bekanntlich auch alle anderen Fürsprachen und Interventionen zugunsten des Angeklagten in Prag und Preßburg kein Gehör fanden. Obwohl auf diese Weise sichtlich isoliert und auf sich allein gestellt, suchte Tiso bei seinen "Richtern" kein Mitleid oder mildernde Umstände, sondern bekannte sich zu seinem Handeln. Er führte am 18. März 1947 wörtlich vor dem "Volksgerichtshof" aus: "Wenn mir Gelegenheit geboten würde, wieder aktiv zu sein, und wenn die Bedingungen die gleichen wären wie in den Jahren von 1938 bis 1945, würde ich die gleiche Politik wie damals führen."

Er bestritt auch die Gesetzmäßigkeit des Gerichts, indem er geltend machte, daß das Prozeßverfahren erst nach dem Krieg festgesetzt worden sei, während die ihm zur Last gelegten Taten zu einer Zeit begangen worden seien, als die Gesetze der alten CSR und des Slowakischen Staates in Kraft waren. Im übrigen glaube er fest daran, daß das slowakische Volk ihm auch heute noch das gleiche Vertrauen entgegenbringe wie in der Vergangenheit.

Vier Wochen nach diesem Bekenntnis fällte das Preßburger "Volksgericht" sein Urteil und erkannte für Jozef Tiso auf "Tod durch den Strang". Der alsbald erfolgte Vollzug des "Richterspruchs" war den meisten Zeitungen vor 50 Jahren nicht einmal eine Zeile wert. So sehr schien Jozef Tiso vom einst anerkannten Staatsführer zur politischen Unperson geworden zu sein.

Sein politisches Anliegen, das slowakische Volk aus der Bevormundung der Tschechen zu lösen und zur staatlichen Selbständigkeit zu führen, erfüllte sich jedoch 46 Jahre nach seinem Tod, im Januar 1993. Eine gewisse Bestätigung über das Grab hinaus.


 
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