© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/97  04. April 1997

 
 
Rechtspopulismus: Der Front National besteht aus unterschiedlichen Strömungen
Wagenburg mit Bruchstellen
von Robert Schwarz

Der abgedunkelte Saal des Straßburger Kongreßzentrums ließ bei den Besuchern das Gefühl aufkommen, sich in der Veranstaltung geirrt zu haben: nervöse Anspannung der 3.000 Menschen, eine nur spärlich beleuchtete Bühne und als Einstimmung die bekannte Melodie der Musikgruppe Vangelis. Doch nicht Henry Maske, sondern Jean-Marie Le Pen stieg beim Straßburger Parteitag der Front National (FN) zu Ostern unter dem frenetischen Beifall seiner Anhänger und zu den Klängen von Verdis Gefangenenchor in den politischen Ring.

Generalsekretär Gollnisch, der als "Chefideologe" der Partei geltende Bruno Mégret und der elsäsissche FN-Chef YvanBlot als Gastgeber durften die Vorkämpfe bestreiten. Doch erst der Auftritt des FN-Vorsitzenden Le Pen ließ die Herzen höher schlagen. Zur Erheiterung seiner Anhänger spielte Le Pen denn auch meisterlich auf der rhetorischen Klaviatur.

Von den derzeit die politische Landschaft Frankreichs prägenden Parteiformationen ist der Front National nach der kommunistischen Partei die zweitälteste. Daß die Organisation Le Pens, die mit ihrem Straßburger Parteitag auf 25 Jahre bewegter Vergangenheit zurückblicken kann, überhaupt solange überleben würde, darauf hätte bis vor zehn Jahren kaum jemand ernsthaft gewettet. So wurde der Front National in den siebziger Jahren heftig von einer Abspaltung, der Parti des forces nouvelles (PFN/Partei der neuen Kräfte), befehdet. Der PFN – zwar maßgeblich von Alain Robert inspiriert, einem umtriebigen politischen Aktivisten, der an der Wiege fast aller größeren nationalistischen Projekte wie Occident (verboten 1968), Ordre nouveau (verboten 1973) und dem GUD stand – hatte dennoch, anders als sein Widerpart, eine kollektive Führung. Eine für nationale Rechtsparteien, die durchweg auf eine starke Führungspersönlichkeit ausgerichtet sind, ungewöhnliche und dennoch funktionierende Besonderheit. Der Bruderkrieg zwischen FN und PFN wurde erbittert geführt. 1979 verständigten sich beide Parteien darauf, mit einer gemeinsamen Liste zur Europawahl anzutreten. Durch eine Intrige wurde Le Pen allerdings in letzter Minute ins Aus befördert. Der PFN, mit finanziellen Mitteln des italienischen MSI gut ausgestattet, trat unter der Bezeichnung "Euro-Rechte" alleine an. Mit 1,3 Prozent der Stimmen blieb der PFN, der ansonsten mit Appellen und Aktionen selbst Unterstützung bei gemäßigt-rechten Politikern fand, weiterhin marginal.

Die gegenseitige Lähmung der "feindlichen Brüder" gipfelte schließlich darin, daß bei den Präsidentschaftswahlen 1981 weder Le Pen noch der Kandidat des PFN die notwendigen Unterstützungsunterschriften sammeln konnte.

Die Mehrheit der PFN-Führung wechselte daraufhin die Strategie. Erklärtes Ziel war es nunmehr, sich in den bürgerlichen Parteien als deren rechter Flügel zu etablieren – da erkannter- maßen die Zeit für eine nationale Wahlpartei noch nicht gekommen war. Le Pen, dem das Feld nun überlassen war, strebte weiter den Durchbruch bei Wahlen an. Mit den Kommunalwahlen 1983 in Dreux gelang dann erstmals – als Partner der Gaullisten – der Sprung auf die nationale Bühne.

Der von den Medien aufmerksam begleitete Aufstieg der Nationalen Front ließ das Gelingen der zweiten Strategie weitgehend unbeachtet: Der Durchbruch der ehemaligen PFN-Leute um Alain Robert in RPR und UDF. Robert selbst ist heute RPR-Abgeordneter in einem Regionalparlament und ein enger Vertrauter von Innenminister Charles Pasqua.

Einige der jüngeren früheren PFN-Aktivisten, die in der heutigen Nationalversammlung fast in Fraktionsstärke vertreten sind, haben in den Parteiapparaten höchste Ämter erreicht. Die Besonderheit der französischen Parteienlandschaft und der politischen Kultur macht es möglich, daß auch ein Wechsel von rechtsaußen zur Mitte hin möglich ist. Theatralische "antifaschistische" Glaubensbekenntnisse werden hierfür nicht erwartet.

Für einen außenstehenden Beobachter ist es oft schwierig zu erkennen, ob diese oder jene Aussage in der Ausländerpolitik, in Fragen der nationalen Souveränität, in der ablehnenden Haltung zu Maastricht und zum Euro von einem Vertreter des Pasqua-Flügels der Neo-Gaullisten oder einem Vertreter des Front National stammt. Erst das politische Etikett der dazu auftretenden Person macht daraus eine bedenkenswerte Einlassung oder eine schlimme Entgleisung.

Nimmt man den rechten RPR-Flügel und den Front National genauer unter die Lupe, sind Unterschiede durchaus erkennbar. Allerdings weniger im Habitus: Der unbefangene Betrachter hätte auch hier seine Schwierigkeiten, die aus dem Bürgertum stammenden Aktivisten der einen oder anderen Partei eindeutig zuzuordnen. Nicht wenige FN-Mitglieder haben schließlich vor einigen Jahren noch selbst das Parteibuch des heutigen Gegners in der Tasche getragen.

Unterschiede zwischen den beiden Parteien wird man allerdings sehr schnell gewahr, wenn man sich mit den Parteimitgliedern beider Formationen unterhält. Während bei den jungen Gaullisten der Typus des karrierebewußten "Kofferträgers" ein gewichtiges Element darstellt, gibt sich die Generation der "Le Pen-Babys", wie sie genannt werden, revolutionärer, idealistischer und kämpferischer. Schließlich haben sie vom etablierten Parteikartell keine Pöstchen und Zuwendungen zu erwarten und könnne sich nonkonformer verhalten.

Die ältere Generation im Front National ist heterogener zusammengesetzt. Einmal sind da die alten Recken, die seit dem Zweiten Weltkrieg jede Schlacht der Nationalisten und Populisten an der Seite Poujades oder Tixier-Vignancours mitschlugen. Sie wurden von diesen Zeiten, die oft den körperlichen Einsatz forderten und mit Gefängnisstrafen endeten, geprägt. Solche Erfahrungen konnte man allerdings auch beim später verbotenen gaullistischen Saalschutz SAC sammeln. Nur das Gefängnis sah man dort nicht so oft von innen; die Partei hielt die schützende Hand über ihre Mannen.

Ehemalige Anhänger von General de Gaulle und Widerstandskämpfer finden sich beim RPR und dem Front National. Roger Holeindre, neuer Vize-Präsident und Chef des FN-Ordnungsdienstes, stritt bereits mit 15 Jahren in der Résistance. Daneben gibt es Anhänger des Vichy-Regimes. Doch wenn die anderen Parteien mit dem Finger auf den Front National weisen, zeigen vier auf sie selbst zurück. Der RPR-Minister Papon, der sich wegen seiner Zuständigkeit für Judendeportationen unter der Pétain-Regierung im Herbst vor Gericht verantworten muß, ist kein Einzelfall.

Die mittlere Generation setzt sich überwiegend aus enttäuschten früheren Anhängern der bürgerlichen Parteien zusammen. Ihre Enttäuschung über nicht gehaltene Wahlversprechen ihres einstigen politischen Führungspersonals schlägt nun nicht selten in Feindseligkeit um.

Quer durch die ganze Partei ist beim FN eine ausgeprägte Wagenburgmentalität spürbar. Die Reihen werden geschlossen angesichts eines politischen Gegners, der statt in einen politischen Ideenwettstreit zu treten und programmatische Schwächen aufzudecken, sich lieber mit einem verpuffenden Aktionismus zufriedengibt und sich in selbstmitleidigen Betroffenheitsbekundungen ergeht.

Dabei liegen die programmatischen Defizite auf der Hand. Der Front National, in dessen Wählerschaft es eine Verschiebung von Gewerbetreibenden und Handwerkern zur Arbeiterschaft gegeben hat, konnte bislang keine überzeugende Antwort im sozialen Bereich auf die Nachfragen dieser Klientel geben. Der Neoliberalismus dürfte den Arbeitern und Arbeitslosen, so er denn umgesetzt wird, arg zuwider sein. Noch wählen diese Schichten den Front National nicht wegen sondern trotz seiner Sozialpolitk. Die Partei Le Pens, die den Protest von überall her sammelt und sich damit begnügt, eine organisatorische Alternative anzubieten, indem sie für jede Gruppe einen Arbeitskreis, Zirkel oder Berufsorganisation gründet, hat jedoch im Angesicht ihrer jetzigen politischen Gegner genügend Zeit zu reagieren.

Die Bruchstellen innerhalb des Front National liegen nicht in angeblichen personellen Thronfolger-Streitigkeiten, sondern in unterschiedlichen Auffassungen zu sozialen, kulturellen und strategischen Fragen. Würde heute jeglicher Druck vom Front National genommen, würde sich zeigen, daß es sich nicht um eine Partei, sondern um einen Zusammenschluß von mehreren Parteien handelt.


 
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