© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/97  04. April 1997

 
 
Demo in Dolgenbrodt: Mit der "Antifa" auf Tour in Brandenburg
"Ich heiß’ Mücke, klar?"
von Manuel Ochsenreiter

Jürgen, der gerade den klimatisierten Bus verläßt, verzieht seinen Mund. "Wie jetzt? So’n Scheißkaff?" Die Büchse Bier in seiner Hand wird lässig zerquetscht und weggekickt. "Na denn…". Enttäuschung macht sich in seinem Gesicht breit.

Es ist Sonntag, der 16. März in Dolgenbrodt. Das Dorf, südlich Berlins im Spreewald gelegen, ist so spannend wie sein Name. Ein paar Häuschen für 260 Einwohner, jede Menge Ferienhäuser für ca. 2000 Wochenendurlauber. Dolgenbrodt ist "ruhig", im wahrsten Sinne des Wortes. Doch heute kommt eine außergewöhnliche Besuchergruppe in das brandenburgische Nest.

Der junge Mann hat sich inzwischen seine Sonnenbrille aufgesetzt und sein "Pali" ("Palästinenser", schwarz-weiß gemustertes Baumwollhalstuch ) weit über die Nase gezogen. "Die Bullen sind ja auch schon da!" freut sich Jürgen. Die Enttäuschung verfliegt, gute Laune macht sich breit, es finden sich immer mehr Heranwachsende ein.

Nach Dolgenbrodt geladen hat die "Antifaschistische Aktion". Das Unternehmen an sich steht unter einem guten Vorsatz. Es soll gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus demonstriert werden. Warum jedoch daraus eine "Hate-Parade" durch Dolgenbrodt wird und Einwohner durch die roten Fahnen und linksextremen Spruchbänder kaum für Menschlichkeit und Toleranz zu begeistern sind, erklärt einem keiner. Aber warum gerade in Dolgenbrodt, einem Dorf, in dem Omas friedlich auf Kopfkissen gestützt aus dem Fenster schauen während deren Männer sich beim Getränkestützpunkt über Fußballergebnisse streiten; einem Dorf, wo am Abend die Bürgersteige hochgeklappt werden und die "Volkstümliche Hitparade" höchste Einschaltquoten erzielt? Also warum gerade Dolgenbrodt im Spreewald, zwei Wochen vor Ostern? "Warum? Weil das’n Nazi-Dorf ist!" Doch Jürgen ist nicht bereit, uns den Sachverhalt näher zu erläutern, er hat inzwischen alte Bekannte gesichtet und stürmt zu ihnen. Wir informieren uns anderweitig. Vor vier Jahren sollten 86 afrikanische Asylbewerber nach Dolgenbrodt in ein ehemaliges Kinderheim ziehen. Kurz vor dem Termin wurde das bezugsfertige Gebäude durch Brandstiftung zerstört. Der Täter wurde 1993 gefaßt und zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Nicht aber ohne das ganze Dorf noch zu belasten. Eine Bürgerversammlung, so der Täter, hätte die Idee gehabt, er sei für die Tat sogar bezahlt worden. Eine Behauptung, die viele Dorfbewohner schwer traf.

Beinahe eine Pogromstimmung gegen die Dolgenbrodter wurde herbeigeredet. Die Berliner taz sprach von "geplanten Straßenblockaden durch Traktoren" gegen die Demonstration. Castor läßt grüßen. Daß das ganze Dorf laut dem parteilosen Bürgermeister Karl Pfannenschwarz nur einen einzigen Traktor hat, war nur im fernen Rheinischen Merkur zu lesen.

Wer kein Faschist sei, müsse nur ein weißes Tuch aus dem Fenster hängen, vielleicht würde sein Haus dann verschont werden, meinen einige. Die anderen Häuser würden abgefackelt. "Wo gehobelt wird, da fallen Späne"; Jürgen zeigt sich bewandert im altdeutschen Sprichwortschatz. Inzwischen läßt Jürgen es sich gutgehen. Mit vier Freunden steht er vor der Polizeiabsperrung und zeigt den Beamten wild den "Effenberg". Gleichzeitig brüllt er "Tod dem Staatsterrorismus!" Und: "Deutsche Polizisten morden mit Faschisten!" Doch nichts passiert. Ruhig lassen die Polizisten Jürgen und die anderen schon leicht angetrunkenen "Antifaschisten" auflaufen. "Scheiß Bullenschweine" schimpft Jürgen ratlos.

Demos sind anstrengend und Jürgen bemerkt, daß er schon wieder Durst hat. Bei dieser Gelegenheit lernen wir "Mücke" kennen, der uns seinen richtigen, also "bürgerlichen" Namen nicht verraten will: "Ich heiß’ Mücke, klar?" Der symphatische hessische Mittdreißiger verteilt ein paar Bierdosen und beginnt ungefragt mit einer Lageanalyse. "Also, isch weiß net, die Lage ist irgendwie festgefahre’. Heut’ ist wohl nix mehr los…". Ein paar hundert Meter weiter geht derweil so richtig die Post ab. "Tod dem deutschen Vaterland – Dolgenbrodt wird abgebrannt!" gröhlt die Menge. Eine ältere Frau schüttelt den Kopf. Mit den Worten "Abbrennen, Feuer, Plündern, das alles gab’s doch schon einmal…" verschließt sie empört ihre Tür. Arztsohn Jürgen und seine Freunde müssen langsam wieder zum Bus. Wenn er länger gemietet wird als geplant, müssen sie nämlich draufzahlen. Klimatisiert und mit fünf Sternen geht’s wieder zurück nach Hause…


 
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