© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/97  04. April 1997

 
 
Frankreich: Nordafrikanischer Bevölkerungsanteil wird als Stimmenpotential immer wichtiger
Strategien des Front National
von Robert Schwarz

Einige Tage nach der Niederlage der Bewerberin des Front National (FN) bei den Kommunalwahlen in Dreux Ende November 1996 wies der Chefredakteur der Zeitung National hebdo in seiner Analyse des Wählerverhaltens auf interessante Tatsachen hin, die den Mißerfolg von Marie-France Stirbois erklären sollten.

Als wichtigen Baustein des letztendlichen Erfolges von Gérard Hamel (RPR) als bürgerlichem Gegenkandidaten wertete der Journalist Martin Peltier den totalen landesweiten Einsatz der Medien zugunsten des amtierenden Bürgermeisters. – Das mag für Dreux zwar stimmen, doch spätestens mit der Wahl in Vitrolles ist deutlich geworden, daß Medieneinflüsse sich nur noch bedingt im Stimmverhalten der Bürger niederschlagen.

Aufschlußreicher ist da schon der zweite Punkt der Analyse. Nach Ansicht von Peltier war das Votum der Einwanderer mit französischer Staatsbürgerschaft ausschlaggebend: "Der Front National ist dort sehr stark, wo die Einwanderung sich am stärksten ausgewirkt hat. Die angestammte Bevölkerung zieht aber fort, das Wählervotum gleicht sich aus und schlägt schließlich ins Gegenteil um." Dabei muß jedoch berücksichtigt werden, daß das Stimmverhalten entsprechend der Volkszugehörigkeit stark differiert. Einwanderer der zweiten und dritten Generation aus europäischen Ländern unterscheiden sich nur noch unwesentlich von der Masse der französischen Staatsbürger. In einem Land, das eine lange und unproblematische Tradition der Integration europäischer Zuwanderer hat, ist das kaum verwunderlich. Auch der Front National tut sich mit Ausländern aus dem europäischen Kulturraum nicht sonderlich schwer. Nicht wenige hohe FN-Funktionäre haben dorthin enge Familienbande geknüpft. Unter den elf Europaabgeordneten befinden sich beispielsweise zwei mit nicht-französischen Ehepartnern. Die Frau seines Kollegen, des FN-Generalsekretärs Bruno Gollnisch, seines Zeichens Jura-Professor und Japanologe, stammt aus dem "Land der aufgehenden Sonne" und die Mutter des EU-Parlamentariers Yvan Blot ist Polin. Der erste Beigeordnete von Vitrolles, Hubert Fayard, ist mit einer Litauerin verheiratet. So ist es sicherlich nichts Ungewöhnliches, daß in Vitrolles Italiener und Spanier mit französischem Paß in gleichem Maße ihr Votum zugunsten des Front National abgaben wie der Durchschnitt der Bevölkerung. Etwas anders verhält es sich mit den in Frankreich lebenden Nordafrikanern moslemischen Glaubens. So heterogen wie diese Gruppe selbst ist auch das Verhältnis zwischen dem FN und den nordafrikanischen Immigranten. Zum Teil sehr gute Verbindungen bestehen zu den etwa 200.000 bis 250.000 "harkis", jenen Algeriern, die in den 60er Jahren gegen die Unabhängigkeit ihrer Heimat und für den Verbleib beim Mutterland Frankreich gekämpft haben und die dafür einen hohen Blutzoll entrichteten. Der Front National setzt sich vehement dafür ein, daß diesen Menschen, die nach ihrer Ankunft in Südfrankreich in gesichtslose Betonvororte verpflanzt worden sind und dort noch heute auf die Einlösung diverser Versprechungen aus Paris warten, nicht nur in finanzieller Hinsicht Dank zuteil wird. Stets waren auch "harkis" an herausragender Stelle auf den Listen der Partei von Jean-Marie Le Pen vertreten. Sid Ahmed Yahiaoui, Abgeordneter im Regionalrat der Ile-de-France und Sohn eines früheren Senators von Bel-Abbès, steht stellvertretend für diese Gruppe "Franzosen moslemischen Glaubens".

Ganz ungetrübt ist das politische Zusammenleben aber auch hier nicht: Als die Kollegen von Yahiaoui im letzten Jahr öffentlich gegen den Bau einer Moschee im Osten der Hauptstadt demonstrierten, wehrte sich der junge Moslem heftig und tat seinen Widerspruch öffentlich kund.

Beim Front National ist man sich darüber im klaren, daß die "harkis" unter den im eigenen Land lebenden Moslems nur eine kleine Minderheit darstellen. So werden seit neuestem auch die anderen Nordafrikaner umworben. Zwischen den beiden Wahlgängen in Dreux verteilten FN-Aktivisten Flugblätter mit Ausschnitten aus arabischen Zeitungen, die auf das besondere Verhältnis von Jean-Marie Le Pen und dessen Partei zum König von Marokko und zu Saddam Hussein hinwiesen. Inwieweit sich diese Art der Propaganda bei der Zielgruppe dann ausgewirkt hat, ist allerdings nicht feststellbar. In Vitrolles bekannten sich junge Araber jedenfalls dazu, Catherine Mégret gewählt zu haben. Ihre Begründung: sie seien der ausufernden Kriminalität endgültig überdrüssig und sähen im Front National den einzigen Garanten für wirksame Gegenmaßnahmen.


 
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