© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/97  04. April 1997

 
 
Frankreich: Umgang mit einer rechten Oppositionspartei
Fieberthermometer
Meinungsbeitrag
von Alain de Benoist

Der ehemalige sozialistische Kulturminister Jack Lang hat eine neue Krankheit entdeckt, die "sich ausbreitet, ohne daß man sie wahrnimmt": la lepénite, die "Le-Penitis". Da es sich um eine Krankheit handelt, bedienen sich nun alle medizinischer Metaphern: Die Ideen des Front National sind ein "Virus", sie produzieren einen "Bazillus", sie "vergiften" die Gesellschaft. Weil der Virus von einem "schmutzigen Tier" herrührt, begreift man, daß man es nach der Creutzfeld-Jacob-Krankheit nun mit einem neuen Fall der Infektion des Menschen durch ein Tier (oder einen Untermenschen) zu tun hat. Verständlich auch, daß es notwendig ist, den Virus "auszuscheiden", in dem man jene beseitigt, die ihn übertragen, um der Ausbreitung der Epidemie Einhalt zu gebieten. Das Unangenehme an der Sache ist nur, daß sich die Experten nicht einigen können, welche Behandlung anzuwenden ist, und sich gegenseitig vorwerfen, zur Verbreitung des Übels beizutragen.

Soll man über Le Pen sprechen und damit riskieren, "Werbung für ihn zu machen"? Oder soll man seine Handlungen und Gesten mit dem Mantel des Schweigens belegen, verbunden mit der Gefahr, "ihm ein freies Feld zu überlassen"? Soll man ihn ins Fernsehen einladen und damit Gefahr laufen, "ihm eine Tribüne zu stellen"? Oder soll man ihm den Zugang verweigern und damit riskieren, "ihn die Opferrolle spielen zu lassen"? Soll man einen "Front républicain" gegen ihn entstehen lassen, verbunden mit der Gefahr, "ihn als einzige Alternative erscheinen zu lassen"? Oder soll man ihn in zerstreuter Ordnung bekämpfen, verbunden mit der Gefahr, "ihn von der Zersplitterung seiner Gegner profitieren zu lassen"? Schreckliche Dilemmata.

Einerseits sind da diejenigen, die denken, die Krankheit unterdrücken zu können, indem man das Thermometer zerstört: Alles wäre so einfach, wenn man den Front National verbieten würde! Andere treten für den brutalen Angriff ein: Davon gab es kürzlich auf der Buchmesse in Paris, auf der der Stand eines dem Front National nahestehender Verlages gestürmt, verwüstet und angezündet wurde, einen Vorgeschmack. Wieder andere bevorzugen die verbale Denunziation: "Le Monde" zum Beispiel empfiehlt wärmstens eine "dauernde Intoleranz" als sehr zuverlässiges Mittel, um das gesellschaftliche Klima zu desinfizieren.

Die einzige Idee, die allen diesen Doktoren der Politik nicht in den Sinn kommt, ist, daß sie in erster Linie selbst für die Situation, die sie beklagen, verantwortlich sind. Wenn es der Front National innerhalb von 15 Jahren so weit gebracht hat, vier Millionen Wähler zu repräsentieren, dann deshalb, weil alle anderen Parteien im Vergleich zu ihm abschreckend wirkten. Wenn die Partei, die am Anfang nur ein nationalistisches Grüppchen war, sich im Laufe der Jahre und ohne es wirklich zu wollen, in eine national-populistische Partei verwandelt hat, an der man heute nicht mehr vorbeikommt, dann deshalb, weil alle Kräfte, die sich bemühten, "gute Antworten auf gute Fragen" zu geben, eine nach der anderen gescheitert sind. Weil die Bewegung Le Pens niemals die Möglichkeit gehabt hat, die Macht auszuüben, ist es nur natürlich, daß man ihm alle Tugenden zuspricht, deren sich seine Mitbewerber offenbar entledigt haben. Um sich dem FN zuzuwenden, brauchen die Wähler nicht von seinen Verdiensten überzeugt zu sein. Es genügt festzustellen, daß die anderen sich versündigt haben, und daß die classe politique unfähig ist, die Probleme zu lösen.

Das vergiftete gesellschaftliche Klima, die Befürchtungen für die Zukunft und die allgemeine Korruption tun ein Übriges. Zur Zeit erleben die Franzosen jede Woche einen neuen Skandal; 500 Politiker aller Richtungen sind im Gefängnis oder droht Gefängnis. Sie erleben eine sich immer weiter ausbreitende Arbeitslosigkeit und Armut, steigende Unsicherheit, eine immer ungleichere Verteilung der Reichtümer und dazu rechte und linke Regierungen, die aufeinander folgen, ohne daß sich etwas ändert. Sie erleben, wie die Rechte die Nation und die Linke das Volk aufgegeben hat, daß der Sozialismus nur noch der Gehilfe des Liberalismus ist, daß sich die klassischen Parteien in wesentlichen Dingen kaum mehr unterscheiden, daß die Justiz nicht mehr für alle gleich ist, daß die Technokratie sich mehr denn je von ihrem täglichen Leben entfernt hat und schließlich, daß das Geld alles beherrscht.

Es ist nicht verwunderlich, daß unter diesen Bedingungen immer mehr ihre Hoffnungen auf die einzige Partei setzen, die noch nicht in Mauscheleien verwickelt war. Ein Volk erträgt notfalls die Korruption, wenn seine Eliten wirkungsvoll arbeiten, und notfalls auch Wirkungslosigkeit, wenn seine Eliten ehrlich sind. Wenn aber die Wirkungslosigkeit und die Korruption Hand in Hand gehen, erträgt es nichts mehr. Man wird so Zeuge eines eigenartigen Psychodramas. Diejenigen, die um die Wette behaupten, die Zauberformel zu besitzen, die die "Le-Penitis" verschwinden lassen würde, sind gleichzeitig jene die sie ungewollt verstärken.


 
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