© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/97  28. März 1997

 
 
Linksextremismus: Dokumentation inkriminierter Texte beschlagnahmt
"Wir können auch anders"
Von Gerhard Quast

Der Aufwand dürfte sich kaum gelohnt haben. Texte mußten gesichtet und bewertet und mit erläuternden Sätzen versehen werden. Ein Herausgeberkreis mußte gefunden und eine gemeinsame Unterstützererklärung festgeklopft werden. Schließlich fast 90 Seiten belichtet, eine Palette hochwertiges Papier bedruckt und 5.000 Hefte verarbeitet werden. Und das alles nur, um am Ende eines arbeitsreichen Monats dort zu landen, wo sie zwar ganz sicher aufbewahrt, aber ganz sicher nicht ihren Adressaten erreichen, nämlich bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe.

Die Rede ist von einer "Dokumentation kriminalisierter Texte", die vom AStA der Freien Universität Berlin finanziell gefördert wurde. Als Herausgeberkreis fungieren 60 Organisationen und Einzelunterstützer aus dem linken bis linksextremen Spektrum, darunter zahlreiche Journalisten, Rechtsanwälte, Professoren und Abgeordnete des Berliner Parlaments (siehe Auflistung). Pikant daran: Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe wertet die am vergangenen Samstag zur Auslieferung gekommene Dokumentation als "Frühjahrsausgabe" der verbotenen Zeitschrift radikal und schlug dementsprechend schnell zu. Allein bei den beiden Berlinern, die aus der Hauptstadt kommend in Münster aufgegriffen und vorübergehend in Haft genommen wurden, stellte die Polizei 680 Exemplare der druckfrischen Dokumentation sicher. Noch am selben Abend durchsuchten Berliner Beamte die Wohnungen der in Münster Festgenommenen. Durchsuchungen fanden außerdem bei der Kreuzberger PDS statt, die von Berlins CDU-Innensenator Schönbohm als den Autonomen besonders nahestehend angesehen wird. Zwar heißt es im Impressum, daß die in Fleißarbeit zusammengestellte Schrift von einer Redaktionsgruppe stamme, "die weder mit dem HerausgeberInnen-Kreis noch mit der radikal-Redaktion identisch" sei. Aber auch diese formelle Distanzierung von dem linksterroristischen Gewalttätern nahestehenden Zeitschriftenprojekt hielt staatliche Stellen nicht zurück, die erneute Veröffentlichung der inkriminierten Texte zu unterbinden. Die Bundesanwaltschaft wertete es als Versuch, die radikal-Beiträge einem größeren Leserkreis zuzuführen.

Das Prominentengremium sieht das allerdings anders. In der "Erklärung der Herausgeberinnen und Herausgeber" – mit "Solidarität" überschrieben – bedauern sie, daß mit dem Verbot der Zeitschrift der Versuch unternommen werde, "eine mißliebige Publikation zum Schweigen zu bringen". Verharmlosend heißt es weiter, daß ihr Inhalt entsprechend der außerparlamentarischen Linken auch "entsprechend heterogen" sei: "Bestandteil des Konzeptes ist es, Gruppen zu Wort kommen zu lassen, die nicht durch bürgerliche Medien repräsentiert werden." Welche Gruppen in den Augen der Verantwortlichen in der Öffentlichkeit zu wenig Berücksichtigung finden, wird an den veröffentlichten Bekennerschreiben deutlich. Neben gewaltbereiten Autonomen-Gruppen wie der Berliner "Klasse gegen Klasse" oder der Göttinger "Antifa (M)" sind dies vor allem jene, die man ohne Probleme dem linksterroristischen Untergrund zurechnen darf: die "Antiimperialistischen Zellen" (AIZ), die Gruppe "K.O.M.I.T.E.E." und "Rote Zora". Ebenfalls enthalten ist das Bekennerschreiben der "Revolutionären Frauen- und Lesbengruppen", die für die Anschläge auf die Druckerei der jungen freiheit in Weimar und auf Vertriebsstrukturen der Zeitung verantwortlich zeichnete. Ungeachtet der dokumentierten Bekennerschreiben beteuert der Herausgeberkreis, daß es ihm allein um "das Recht auf Meinungsfreiheit" gehe, das seiner Ansicht nach durch das Verbot der linksextemen Publikation ausgehöhlt werde.

Die Broschüre ist allerdings kein echter Querschnitt, wie ein Blick in den radikal-Index deutlich macht: Nicht enthalten sind beispielsweise die anwendungsbezogenen "Bastelanleitungen" aus den Ausgaben 139 ("Zeitzünder"), 140 ("Zeitzünder nach dem Verstärkerprinzip"), 141 ("Weiterentwicklung der Anleitung aus der Nummer 140") und 142 ("Verriß des Zeitzünders aus der 141") wie die Anleitung zum "Mollibau" (142). Einen Vergleich mit der linksterroristischen 70er-Jahre-Zeitschrift agit 883 muß radikal also durchaus nicht scheuen.

Daß die Herausgeber mit Sanktionen gerechnet haben, macht eine Bemerkung am Ende ihrer Solidaritätserklärung deutlich: "Wir sind gespannt, ob die Bundesanwaltschaft deswegen auch diesen Kreis der Herausgeberinnen und Herausgeber zu einer kriminellen Vereinigung erklären wird." Ob das passiert, kann angesichts der prominenten Unterstützer bezweifelt werden. Gespannt darf man allerdings sein, ob überhaupt jemals einem Verantwortlichen der radikal-Unterstützerszene der Prozeß gemacht wird.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen