© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/97  28. März 1997

 
 
Populismus
Kolumne
von Heinrich Lummer

"Das ist ja billiger Populismus". Mit diesem Vorwurf traktieren oftmals Politiker jeder Couleur den jeweils anderen. Was aber ist Populismus? Populismus, das ist der Versuch, dem Volke aufs Maul zu schauen und nach seinem Wunsch und Willen zu verfahren. Genau so wurde einst Demokratie definiert: Herrschaft des Volkes. Und nun soll eine der schlimmsten Sünden des Politikers darin bestehen, ebenso zu reden und zu handeln, wie das Volk es will. Das soll einer verstehen.

Populismus ist der Normalfall. Deshalb sollte man keinen Politiker tadeln, der des Volkes Willen vollstrecken will und die Luftherrschaft über die Stammtische anstrebt, die im übrigen besser sind als ihr Ruf bei denen, die die Füße nicht mehr auf dem Teppich haben. Insofern erscheint es unerträglich, wenn höchste Würdenträger der Republik meinen, man dürfte bestimmte Themen nicht diskutieren. Und zwar solche, die beim Publikum ausgesprochen "in" sind. So sollte man die Ausländerpolitik im allgemeinen, die Asylpolitik im besonderen und natürlich auch den Euro aus den Wahlkämpfen heraushalten. Warum eigentlich?

Schließlich sind das genau die Themen, die landauf, landab diskutiert werden. Wer darauf verzichtet, will das Volk für dumm verkaufen, als Stimmvieh benutzen und manipulieren. Alles was das Volk bewegt, gehört auf die Tagesordnung. Das mögen manche populistisch nennen. Für mich ist es einfach demokratisch und stinknormal. So die Regel.

Wie so oft gibt es Ausnahmen. Man kann das Volk nicht über die Höhe von Steuern abstimmen lassen. Auch gibt es Fälle, wo der Sachverstand der Leute seine Grenzen hat. Beispiel: Wenn die Stationierung der Pershing II-Raketen per Volksentscheid entschieden worden wäre, wäre wahrscheinlich eine Ablehnung erfolgt. Dann gäbe es heute möglicherweise noch die Sowjetunion und den Ost-West-Konflikt. Denn gerade diese Nachrüstung, für die Helmut Kohl sich so stark gemacht hatte, hat der Sowjetunion vor Augen geführt, daß sie ökonomisch mit dem Westen nicht mithalten konnte. Sie gab auf. Und so gab es die Wiedervereinigung. Trotz mancher Querelen haben wir guten Grund uns darüber zu freuen und letzten Endes freuen sich auch die darüber, die eine Zeitlang wünschten, die Mauer möge noch sein und womöglich noch höher. Aber wie immer. Das eine ist die Regel, das andere die Ausnahme. Darum heißt die Devise, nicht weg mit dem Populismus, sondern soviel Populismus wie möglich. Soviel Ausnahmen wie nötig.

(Heinrich Lummer, Berliner Innensenator a.D., ist CDU-Bundestagsabgeordneter)


 
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