© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/97  28. März 1997

 
 
75. Todestag: Erich von Falkenhayn, deutscher Generalstabchef im Ersten Weltkrieg
Einsamer Feldherr seines Königs
Von Jürgen Mohn

Wer heute an den deutschen Generalstabschef Erich von Falkenhayn (1861–1922) erinnert, muß von einem allgemein verbreiteten Vorverständnis ausgehen. Sein Name ist unauflösbar verknüpft mit den Materialschlachten der Jahre 1914–16, besonders an der Westfront; Verdun, neben Stalingrad unser spektakulärster militärischer Fehlschlag in diesem Jahrhundert, fiel in seine Verantwortung und ließ ihn in der Öffentlichkeit leicht zum Sündenbock werden.

Das Bild Falkenhayns wurde geprägt durch die 1925 bis 1944 publizierten, tendenziell Hindenburg und Ludendorff verpflichteten Weltkriegswerke des Potsdamer Reichsarchivs. Hinzu kamen die Memoiren zeitgenössischer Generäle, die ihn mehrheitlich negativ oder jedenfalls mit wenig Sympathie beurteilten. Oft blieb sein Bild auch eigentümlich verschwommen. Wer war dieser am 11. September 1861 nahe Graudenz geborene Westpreuße, dessen Tod sich dieser Tage zum 75. Mal jährt? Nach Erziehung im Kadettenkorps und Absolvierung der Kriegsakademie in den Generalstab versetzt, nahm Falkenhayn 1896 ein lukratives Angebot an und wurde Militärinstrukteur in China. Daraufhin folgte – nach kurzer Unterbrechung – der Dienst im Generalstab des ostasiatischen Expeditionskorps (bis 1903). Aufgrund seiner Leistungen in China war er an höchster Stelle sehr positiv aufgefallen. Sein energisches und betont soldatisches Auftreten, verbunden mit Eleganz und Weltläufigkeit sowie sein – trotz gelegentlicher Schroffheiten – unverkennbar diplomatisches Geschick imponierten dem Kaiser und präjudizierten seinen späteren rasanten Aufstieg.

In jener Zeit festigte sich Falkenhayns Einschätzung, daß England der Hauptfeind des Reiches sei. Nach wechselnder Verwendung in Stabs- und Truppenfunktionen wurde er im Juli 1913, mit 52 Jahren, zum preußischen Staats- und Kriegsminister ernannt (bis Januar 1915). Dieses Ministerium bildete zusammen mit dem Generalstab und dem Militärkabinett den organisatorischen Überbau des deutschen Heeres; der Oberbefehl lag, formal jedenfalls, bei Kaiser Wilhelm II..

Erich von Falkenhayn war zuständig für die Armeestärke, Ausrüstung und Bewaffnung, aber auch für den Heeresetat, den es im Reichstag durchzubringen galt. Als sich im September 1914 der deutsche Vormarsch an der Marne festlief, löste er den jüngeren Moltke als Generalstabschef des Feldheeres ab und avancierte somit zum verantwortlichen Leiter der deutschen Kriegsführung bis in den Spätsommer 1916. Falkenhayns Hauptsorge galt stets der Westfront. Nicht im zaristischen Rußland, sondern in England sah er den gefährlichsten Feind, mit dem die Verschwörung gegen Deutschland stehe und falle. Angesichts der knappen deutschen Mittel und der schier unbegrenzten russischen Rückzugsmöglichkeiten äußerte er einmal: "Unbeschränkt nachlaufen können wir ihnen nicht." Trotz der relativ günstigen Gesamtlage gegen Ende 1915 – die Falkenhayns Ansehen erheblich verstärkte – wollte er auf jeden territorialen Gewinn im Osten verzichten, falls eine deutsch-russische Verständigung gelänge und der Zwei-Fronten-Krieg beendet werden konnte. In diesem Sinne drängte er die Diplomatie und die Verbündeten zu politischen Lösungen und Opfern, beispielsweise auch hinsichtlich der Gewinnung neutraler Staaten.

In seinen Erinnerungen mokiert er sich über alle, die glaubten, unter den damaligen Bedingungen Großmächte wie Rußland, England oder Frankreich "vernichten", d.h. vollständig niederwerfen zu können. Nach den Lehren des Jahres 1915, namentlich aus der Winterschlacht in der Champagne mit ihren mißglückten Massenstürmen auf deutsche Stellungen, hielt er einen strategischen Durchbruch nicht mehr für erreichbar – weder im Osten noch im Westen. Hier zeigte er mehr Augenmaß für die Grenzen der militärischen Möglichkeiten der Mittelmächte als zum Beispiel Ludendorff. Wie sollte dann allerdings der Krieg erfolgreich beendet werden? Eine reine Verteidigung kam nicht in Betracht, die Zeit arbeitete eindeutig für die Entente.

Falkenhayns Ermattungs- oder Zermürbungsstrategie sah vor, den Gegner im Westen durch nicht existenzbedrohenden und trotzdem unerträglichen militärischen Druck zum Nachgeben zu zwingen. Vereinfacht dargestellt, sollte Großbritannien durch uneingeschränkten U-Boot-Krieg und massive Gegenstöße nach erwarteten Entlastungsangriffen so empfindlich geschwächt werden, daß die verbündeten Franzosen jede Hoffnung auf deren Hilfe verloren.

In diesen Kontext gehörte auch die konzipierte Schaffung eines mitteleuropäischen Zollverbands, mit dem ein langfristiges Durchhalten signalisiert und gewährleistet werden sollte. Hinter der französischen Front wiederum, so Falkenhayn, gebe es in Reichweite Ziele, für deren Behauptung Paris gezwungen sei, "den letzten Mann" einzusetzen. Dies war dann auch ein wichtiger Hintergrund des monatelangen, mörderischen Ringens um die Festung Verdun seit dem 21. Februar 1916. Dabei mußten die deutschen Truppen die Höhenzüge am östlichen Maasufer – jedoch nicht unbedingt die Stadt selbst – erreichen, wobei Falkenhayn ein Verlustverhältnis von fünf zu zwei zu deutschen Gunsten zugrundelegte: entweder der Gegner "blutet aus" beim Versuch der Wiedergewinnung der Höhen und gibt schließlich auf oder aber Stadt und Festung werden geräumt, mit enormer moralischer Rückwirkung auf das französische Volk. Diese Schlacht kostete die Franzosen 317.000 Mann Verluste, die Deutschen 282.000 Mann. Bekanntlich entwickelte der Angriff im Maasgebiet mit Richtung auf Verdun jedoch seine eigene fatale Dynamik (siehe JF 7/96, S.18) und endete mit dem Rückzug der Deutschen auf die Ausgangsstellungen bis Jahresende 1916. In fast gleicher Größenordnung wie auf französischer Seite verblutete Regiment um Regiment, kam es zu einem ungeheuren Verschleiß der Reserven und des Widerstandswillens. Andererseits schien es zunehmend ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, überaus hart erkämpftes Terrain wieder preiszugeben. Aber Falkenhayn war kein Blutsäufer, ebensowenig wie sein großer Gegenspieler Pétain. Wie immer in der Geschichte können getroffene Entscheidungen nur aus der damaligen Zeit und Konstellation heraus angemessen beurteilt werden. Der Verdunplan war in Anlehnung an Peter Graf Kielmansegg "ein verzweifelter Versuch, strategisch zu denken unter Bedingungen, die der Strategie kaum noch Spielraum ließen".

Am 29. August 1916 wurde Falkenhayn – seit Jahren von Kanzler Bethmann Hollweg und hohen Militärs attackiert – seiner Stellung enthoben und von der 3. Obersten Heeresleitung (Hindenburg/Ludendorff) abgelöst. Gleich im Anschluß übernahm er weitere wichtige Aufgaben als Armeeführer in Rumänien und der Türkei, zuletzt in Weißrußland, wo er nach dem Frieden von Brest-Litowsk überwiegend administrative Funktionen ausübte.

Seit April 1920 lebte Falkenhayn im Schlößchen Lindstedt bei Potsdam. Körperlich seit geraumer Zeit angeschlagen, verschlechterte sich sein Gesundheitszustand, bedingt durch ein Nierenleiden, zusehends ab der Jahreswende 1920/21. Der oft verkannte große Feldherr verstarb am 8. April 1922 und wurde nach einer würdigen Trauerfeier unweit Sanssouci auf dem Kirchhof in Bornstedt beigesetzt, wo er heute noch ruht.


 
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