© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/97  28. März 1997

 
 
Die Linke und das Arbeitslosenproblem
Forumsartikel
von Hans Hausberger

Mit 4,7 Millionen Arbeitslosen verzeichnete die Erwerbslosenstatistik im Februar einen neuen makaberen Rekord. In einem maliziösen Wirtschaftskommentar der FAZ konnte man kürzlich lesen, daß die Politik dieses Landes angesichts immer neuer Höchststände bei den Erwerbslosenzahlen endlich an einem zentralen Punkt angelangt ist, von dem lauter Sackgassen abgehen. Mit der politischen Richtung wechselt allenfalls die Präferenz für bestimmte Sackgassen. Man muß deshalb erst einen ganzen Berg von Fehldeutungen beiseite räumen, ehe man zum Kern des Problems vordringt.

Das einzige, was Politikern aller Richtungen in dieser mißlichen Situation gewöhnlich noch gemeinsam einfällt, sind weitere Arbeitszeitverkürzungen und ein Verbot von Überstunden. Man tut so, als hätten wir Millionen Arbeitslose als Folge einer allgemeinen Übersättigung mit allen möglichen Gütern. Weil es angeblich nichts Vernünftiges mehr in ausreichendem Umfang zu tun gibt, soll die Arbeit rationiert werden. Ein umfangreiches Schrifttum politologischer und soziologischer Provenienz kreist nur noch um die Frage, wie Arbeitsmangel in übersättigten Wohlstandsgesellschaften "gerecht" zu verteilen ist. Es ist eine reichlich utopische Fragestellung, die mit der Realität nichts zu tun hat. Die Logik der Übersättigung kann es immer nur bei einzelnen Gütern geben, niemals als gesamtwirtschaftliches Phänomen: Für den Betriebswirt ist eine permanente Sorge um den Absatz seiner Produkte durchaus legitim, denn er stößt in seinem beruflichen Alltag unentwegt an Nachfragegrenzen. Der Druck von Konkurrenzanbietern, Änderungen in den Konsumgewohnheiten und technischer Fortschritt machen ihm das Leben schwer. Nichts läßt sich endlos und in beliebiger Menge ab- setzen.

Für den Volkswirt aber ist die Vorstellung, daß die gesamtwirtschaftliche Nachfrage einfach aufhört, daß uns insgesamt die Arbeit ausgeht, weil alle schon alles haben, absurd. Der kollektive Bedürfnishorizont eilt den realen Produktionsmöglichkeiten stets voraus und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, nach neuen Gütern und neuen Dienstleistungen, ist praktisch unendlich, solange es millionenfach unerfüllte Wünsche gibt. Warum würde sonst Jahr für Jahr in den Tarifauseinandersetzungen hartnäckig um Zehntelprozente bei der Einkommensverteilung gerungen? Ganz abgesehen davon, daß es im Schlaraffenland allgemeiner Übersättigung auch gar keine Arbeitslosigkeit geben könnte: denn wozu sollte jemand verzweifelt Arbeit suchen, wenn er mit dem Einkommen doch nichts mehr anzufangen weiß? Schon an dieser Stelle fällt die erste Säule linker Beschäftigungspolitik lautlos in sich zusammen: Die gewerkschaftliche These, die uns fortwährende Arbeitszeitverkürzung als die einzig logische Antwort auf typisch spätkapitalistische Saturiertheitszustände verkauft, stimmt hinten und vorne nicht. Bemerkenswert an dieser These ist nur, daß die Forderung nach kürzeren Arbeitszeiten stets mit der Forderung nach Lohnausgleich verbunden wird. Die behauptete Saturiertheit gilt offenbar nicht für die eigenen Mitglieder. Sättigungserscheinungen, die es bei einzelnen Produkten natürlich gibt, führen häufig zu Veränderungen der wirksamen Nachfrage, niemals aber zu einer Nachfragelücke. Arbeitslosigkeit entsteht daraus nur, wenn dem erforderlichen Strukturwandel nicht Rechnung getragen wird. Wer unverdrossen Pferdedroschken produziert, obwohl das Automobil schon erfunden ist, der muß damit rechnen, irgendwann seinen Job zu verlieren.

Damit aber stürzt bereits die zweite Säule linker Beschäftigungspolitik. Das sozialdemokratische Dauerbemühen, überlebte Produktionsstrukturen mit Steuergeldern auf Kosten gesunder Wirtschaftsbereiche zu konservieren, um so "Arbeitsplätze zu erhalten", ist bestenfalls ein Spiel gegen die Zeit unter Inkaufnahme gewaltiger volkswirtschaftlicher Kosten. Strukturkonservierung bedeutet: man produziert unverdrossen für die gestrigen Bedürfnisse, obwohl es angesichts eines offenen Bedürfnishorizonts eine unendliche Zahl an unbefriedigten aktuellen Bedürfnissen gibt. Wenn es aber keine allgemeine Sättigung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage gibt, dann kann die grassierende Massenarbeitslosigkeit nichts mit allgemeiner Überproduktion, überzogener Rationalisierung und einem zu hohen Effizienzniveau der Fertigungsprozesse zu tun haben. Oskar Lafontaines beschwörend im Bundestag vorgetragene Ermahnung, daß immer weniger Menschen immer mehr produzieren, erklärt nicht, warum den anderen Menschen, die aus dem Arbeitsprozeß herausfallen, unter den gegenwärtigen Bedingungen gar nichts mehr zu produzieren bleibt. Was hindert Millionen Menschen daran, durch eigene Arbeit Güter herzustellen, die sie auch nachfragen würden, wenn sie nur das entsprechende Einkommen hätten? Wenn beides, der Wille Güter herzustellen und die Absicht, Güter nachzufragen, unerfüllt bleibt und nicht mehr zueinander findet, dann kann dies nicht an einem bestimmten Automatisierungsgrad der Fabriken liegen.

Der Irrglaube, Beschäftigung scheitere an ausreichender Nachfrage, hat eine spezifisch linke Spielart. Es ist dies das endlos variierte "Kaufkraftargument", von dem Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftler wahre Wunder bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erwarten. Die brutale Version trägt die PDS vor: durch harte Arbeitskämpfe sollen auf Kosten der Unternehmergewinne drastische Lohnsteigerungen für alle Arbeitnehmer durchgesetzt werden, um so "Massenkaufkraft" zu mobilisieren. Das Rezept verkennt, daß durch bloße Umverteilung von Einkommen – auch dort, wo dies sozialpolitisch erwünscht sein sollte – das Volkseinkommen insgesamt nicht höher wird. Man kann so vielleicht die Struktur der Gesamtnachfrage verändern – weg von Gütern des gehobenen Bedarfs, hin zu Gütern des Massenkonsums. Beschäftigungspolitisch aber kommt man auf keinen positiven Saldo. Das Rezept wirkt realistisch betrachtet sogar kontraproduktiv: dann nämlich, wenn die Unternehmer den Einkommensverlust nicht durch eine Änderung ihrer Konsumgewohnheiten ausgleichen, sondern durch eine Reduzierung ihrer Spar- und Investitionsquote.

Das leere Stroh einer Arbeitsplatzbeschaffung durch nachfragebelebende Umverteilung wird auch dadurch nicht gehaltvoller, daß an die Stelle des drohenden Streikpostens ein fordernder Finanzbeamter tritt: Umverteilung bleibt immer nur Umverteilung, egal ob sie direkt im Klassenkampf erzwungen wird, oder ob sie den von der SPD favorisierten Umweg über die staatlichen Haushalte nimmt. Auch der auf Steuerprogression und großzügige Staatsausgaben spezialisierte sozialdemokratische Wohlfahrtsstaat verfügt nicht über die Fähigkeit der wundersamen Geldvermehrung. Auch er kann nur geben, was er anderen wegnimmt. Selbst die Mittel für seine exzessive Schuldenwirtschaft kann er nur aufbringen, wenn der private Sektor im selben Maße Konsumverzicht und Investitionsverzicht übt, um sich statt dessen Bundesschatzbriefe in den Tresor zu legen.

An dieser simplen Tatsache scheitern alle staatlichen "Konjunkturprogramme". Sie bringen keine zusätzliche Nachfrage, sondern sie verdrängen lediglich private Nachfrage. Beschäftigungspolitisch bringen all diese Nullsummenspiele nichts.

Die nach unten offene Skala der Vulgärökonomie gestattet es den Anhängern linker Umverteilungsressentiments gleichwohl, kreativ in immer neue Abgründe des volkswirtzschaftlichen Unsinns vorzudringen. Im Bemühen, dem offenkundig Sinnlosen doch noch irgendeinen beschäftigungspolitischen Sinn abzugewinnen, flüchten prominente Sozialdemokraten, brave Gewerkschaftsfunktionäre und aalglatte PDS-Agitatoren zunehmend in die intellektuelle Zumutung einer rabulistischen Rhetorik. Herr Lafontaine hat kürzlich im Bundestag enthüllt, daß es neben normalen Einkommen auch "nachfrageintensive" Einkommen gibt. Hinter dieser Begriffsschöpfung steht wohl die simple Vermutung, daß Kleinverdiener Einkommenszuwächse unmittelbar in zusätzliche Nachfrage umsetzen, während Großverdiener Teile ihres Einkommens möglicherweise auf Sparkonten anlegen. Im sozialdemokratischen Weltbild aber gibt es nichts Schlimmeres, als Sparen: Sparen bedeutet Konsumverzicht, Nachfragelücke, Arbeitslosigkeit. Deshalb spricht man folgerichtig auch von "Kaputt- sparen".

Auf die Idee, daß Spargelder dem volkswirtschaftlichen Nachfragekreislauf gar nicht entzogen sind, daß Spareinlagen nur deshalb Zinsen bringen, weil sie gewinnbringend als Kredit an andere Nachfrager verliehen werden, kommt zwar jedes Kind, nicht aber die deutsche Sozialdemokratie. Sie scheut nicht das peinliche Schauspiel politischer Eiertänze um ökonomische Fiktionen. Hartleibig hält sie an der Realitätsverweigerung fest, denn der einfältige Trugschluß vom "nachfrageintensiven Einkommen" läßt sich trefflich popularisieren: Auf seiner beständigen Ausschau nach neuen, noch unentdeckten Nachfragelücken zitiert der gegenwärtige SPD-Vorsitzende gebetsmühlenhaft immer wieder einen Marketingspruch des alten Henry Ford: "Autos kaufen keine Autos!" Niemand wird dieser Weisheit jemals widersprechen. Und einer Bevölkerung, die sich nichts sehnlicher wünscht, als höhere Einkommen, muß es angenehm in den Ohren klingen.

Auf der Suche nach dem tieferen Sinn aber kommt uns ein Gedanke: Warum nur, so fragen wir uns, hat der schlaue Henry Ford seine Löhne nicht verdoppelt, um mit einem Schlag gleich doppelt so viele Autos verkaufen zu können? Sollte der alte Fuchs aus Detroit etwa die revolutionären Konsequenzen seines eigenen Spruchs nicht ganz begriffen haben? Oder hat am Ende nur Herr Lafontaine vom Einkommenskreislauf einer Volkswirtschaft nichts begriffen?

(Dr. rer. pol. Hans Hausberger ist selbständiger Unternehmensberater in Köln)


 
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